Beweislastumkehr bei groben Fehlern von Amtsträgern (hier einer Rettungsleitstelle)

Beweislastumkehr bei groben Fehlern von Amtsträgern (hier einer Rettungsleitstelle)

Im Klageverfahren muss der Geschädigte grundsätzlich die Ursächlichkeit des vom Schädiger begangenen Fehlers für seinen Schaden beweisen. Etwas andere gilt nur im Arzthaftungsrecht, wenn der Arzt einen sogenannten groben Behandlungsfehler begeht. Dann kehrt sich die Beweislast um, sodass der Arzt beweisen muss, dass der von ihm begangene Fehler nicht ursächlich für den Schaden des Patienten war, § 630h Abs. 5 BGB.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt entschieden, dass diese Grundsätze auch im Amtshaftungsrecht gelten. So kann es bei einer groben Amtspflichtverletzung des Beamten, hier eines Disponenten einer Rettungsleitstelle im Rahmen eines Rettungsdiensteinsatzes, zur Umkehr der regulären Beweislast kommen mit der Folge, dass die für den Disponenten haftende Körperschaft regelmäßig die Nichtursächlichkeit festgestellter Fehler beweisen muss, die allgemein als geeignet anzusehen sind, einen Schaden wie den eingetretenen herbeizuführen.

Das Urteil des BGH vom 15.5.2025 (Az. III ZR 417/23) betrifft einen tragischen Fall aus dem Jahr 2017, bei dem ein Neugeborenes kurz nach der Geburt verstarb. Die Eltern des Kindes verklagten mehrere Landkreise auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen Amtspflichtverletzungen durch Rettungsleitstellen.

Im Januar 2017 verspürte eine hochschwangere Frau starke Schmerzen. Die hinzugezogene Hebamme empfahl umgehend einen Krankenhausaufenthalt. Der werdende Vater informierte die Rettungsleitstelle Bad Oldesloe telefonisch und wies auf die Empfehlung der Hebamme hin. Aufgrund von Zuständigkeitsregelungen wurde der Notruf an die Leitstelle in Schwerin und anschließend nach Lübeck weitergeleitet. Dabei ging die Dringlichkeit der Situation verloren, sodass lediglich ein Rettungswagen ohne Notarzt entsandt wurde. Die Helfer trafen erst 36 Minuten später ein. Das Kind wurde nach einer Notsectio (Not-Kaiserschnitt) geboren, erlitt jedoch einen erheblichen Gesundheitsschaden und verstarb 13 Monate später.

Die Eltern machten geltend, dass die Rettungsleitstellen ihre Amtspflichten verletzt hätten, indem sie nicht sofort einen Notarzt entsandten. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht (OLG) wiesen die Klage ab. Das OLG argumentierte, dass gemäß dem Indikationskatalog der Bundesärztekammer für den Notarzteinsatz keine sofortige Entsendung eines Notarztes erforderlich gewesen sei und die Weiterleitungen der Notfallmeldungen nicht schadensverursachend waren.

Der BGH hob das Urteil des OLG auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung an das OLG zurück. Er stellte fest, dass das Berufungsgericht ein Sachverständigengutachten hätte einholen müssen, um zu klären, ob im konkreten Fall eine Indikation zur sofortigen Entsendung eines Notarztes bestand. Der BGH betonte, dass der Indikationskatalog zwar eine Orientierungshilfe darstelle, jedoch nicht allein entscheidend sei. Vielmehr müsse der individuelle Einzelfall berücksichtigt werden.

Zudem wies der BGH darauf hin, dass bei groben Amtspflichtverletzungen durch Disponenten einer Rettungsleitstelle eine Beweislastumkehr in Betracht komme. In solchen Fällen müsse die haftende Körperschaft nachweisen, dass festgestellte Fehler nicht ursächlich für den eingetretenen Schaden gewesen seien.

Das Urteil ist bahnbrechend, weil es klarstellt, dass die Grundsätze der Haftung für Behandlungsfehler auch im Amtshaftungsrecht gelten. Im Medizinrecht wird es von großer Bedeutung sein, weil es die Haftung für Fehler von Rettungspersonal, insbesondere auch von Notärzten (die als Amtsträger und nicht als behandelnde Ärzte tätig werden), mit der Haftung von behandelnden Ärzten im Rahmen eines Behandlungsvertrages gleichstellt.