Der BGH ändert seine Rechtsprechung zum Schockschaden

Der BGH ändert seine Rechtsprechung zum Schockschaden

Bisher konnten Angehörige eines schwer verletzten oder getöteten Opfers von Straftaten, Verkehrsunfällen oder auch ärztlichen Behandlungsfehlern Schadensersatz (Schmerzensgeld) für die bei ihnen durch die Todesnachricht oder das Miterleben der Tötung des Angehörigen entstandenen psychischen Beeinträchtigungen und Folgen (sog. Schockschaden) nur dann verlangen, wenn diese Beeinträchtigungen Krankheitswert besaßen und über das Maß hinaus gingen, denen Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind. So hatte der Bundesgerichtshof (BGH) noch am 21.5.2019 (VI ZR 299/17) entschieden.

Mit Urteil vom 6.12.2022 (VI ZR 168/21) hat der BGH nunmehr unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass dann, wenn die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar ist, sie also Krankheitswert hat, für die Bejahung einer Gesundheitsverletzung es nicht erforderlich ist, dass die Störung über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.

Dem lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem die Tochter des klagenden Vaters im Alter von 5 und 6 Jahren von dem Beklagten sexuell missbraucht worden war.
Der Kläger hatte angegeben, aufgrund der Leiden, die sein Kind durch den Missbrauch durch den Beklagten erfahren hatte, selbst eine tiefgreifende, schwere reaktive depressive Verstimmung erlitten zu haben, weswegen er psychologisch behandelt worden sei. Er sei in dieser Zeit in seiner Konzentrations- und Antriebsfähigkeit ganz erheblich eingeschränkt gewesen, weil er sich in dieser Zeit gedanklich nur mit den Leiden seines Kindes habe beschäftigen können. Er sei deswegen auch arbeitsunfähig gewesen. Die Beeinträchtigungen seien auch erheblich schwerer gewesen, als diejenigen wie sie andere Angehörige in diesen Fällen erfahrungsgemäß allgemein erlitten.

Das Landgericht Lüneburg hatte der Klage des Kindesvaters stattgegeben und den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 4.000,00 € verurteilt. Hiergegen war der beklagte Missbrauchstäter in Berufung gegangen. Das Oberlandesgericht Celle war den Ausführungen des Landgerichts nicht gefolgt und hatte die Klage des Beklagten abgewiesen.
Die von dem Vater eingelegte Revision hat der BGH nun positiv entschieden und das Urteil des Landesgerichts Celle aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Höhe des Schmerzensgeldes an dieses Gericht zurückverwiesen.

Der BGH hat seine Entscheidung damit begründet, dass er die Gefahr sehe, dass der nach der bisherigen Rechtsprechung bei der Prüfung des Vorliegens einer Gesundheitsverletzung in Form eines „Schockschadens“ anzustellende Vergleich zwischen der Beeinträchtigung des Anspruchstellers und der zu erwartenden Reaktion von Angehörigen in vergleichbarer Lage zu unbilligen Ergebnissen führen könne. Dies werde exemplarisch deutlich, wenn als Auslöser des Schockschadens, wie hier, eine vorsätzliche Straftat in Rede stehe. Es sei schon für sich genommen unbillig, etwa im Falle einer besonders schwerwiegenden Straftat, die bei nahen Angehörigen des Opfers mittelbar eindeutig pathologische psychische Beeinträchtigungen (etwa schwere Depressionen) verursacht hätten, diese deshalb nicht als Gesundheitsverletzung anzusehen, weil sie im Regelfall als Reaktion auf vergleichbare Straftaten zu erwarten seien. Darüber hinaus führe es auch zu Wertungswidersprüchen, in derartigen Fällen eine Gesundheitsverletzung zu verneinen, diese aber umgekehrt bei mittelbarer Verursachung einer psychischen Beeinträchtigung von Krankheitswert durch eine geringfügige Straftat deshalb zu bejahen, weil sie bei Angehörigen in vergleichbarer Lage regelmäßig nicht auftrete.

Wichtig ist diese Rechtsprechung vor allem für Erben eines schnell und ohne große Leiden verstorbenen Opfers. Bisher konnten diese lediglich ein relativ geringes Schmerzensgeld für die Leiden ihres Angehörigen beanspruchen, da diese nur kurz gewesen oder gar (z.B. beim sofortigen Tod nach einem Verkehrsunfall) gar nicht entstanden waren. Wenn diese Angehörigen dann aufgrund der Todesnachricht in Depressionen verfallen waren, die nicht schwerer waren, als sie normalerweise bei der Nachricht vom Tod eines nahen Angehörigen zu erwarten sind, gingen sie leer aus. Hier hat der BGH klargestellt, dass auch diese Angehörigen Anspruch auf Schadensersatz in Form eines angemessenen Schmerzensgeldes für die aufgrund der Todesnachricht erlittenen Leiden beanspruchen können.

Fazit

Gehören Sie zu dem vorgenannten Personenkreis, wenden Sie sich bitte an einen Rechtsanwalt, der auf Medizinrecht oder Schadensersatzrecht spezialisiert ist, um effektiv Schadensersatz zu erhalten.